Die Frage nach der Haftung von Vorständen und Aufsichtsräten gewinnt in den vergangenen Jahren stetig an Bedeutung. Dieser Beitrag beleuchtet die zentralen Aspekte der Haftung von Vorständen und Aufsichtsräten im Licht aktueller Rechtsprechung und Gesetzgebung.
Welche Haftung trifft Vorstände während der Gründung?
Die Verantwortung von Vorständen beginnt nicht erst mit der Eintragung ins Handelsregister, sondern bereits in der Gründungsphase des Unternehmens. Nach § 41 AktG haften Vorstandsmitglieder, wenn sie ihre Sorgfaltspflichten während der Gründung vernachlässigen und der Gesellschaft dadurch ein Schaden entsteht. Diese Vorschrift zielt darauf ab, eine reale Kapitalaufbringung zu gewährleisten und schützt sowohl Gläubiger als auch zukünftige Aktionäre.
Wichtige Aspekte der Gründungsphase
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Vorstände sind verpflichtet, auch vor der Eintragung der Gesellschaft im Firmenbuch im besten Interesse der Gesellschaft tätig zu werden.
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Die Verletzung allgemeiner Organpflichten wie der Verschwiegenheitspflicht oder der Überwachungspflichten durch den Aufsichtsrat kann bereits in der Gründungsphase haftungsrelevant sein.
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Nach dem Prinzip der Haftungskonzentration ist in der Regel nur die Gesellschaft anspruchsberechtigt.
Wie sieht die Haftung der Vorstände nach der Gründung aus?
Grundlagen der Sorgfaltspflicht
Gemäß § 84 AktG müssen Vorstandsmitglieder die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anwenden. Dieser objektive Maßstab, vergleichbar mit § 1299 ABGB, lässt keine Entschuldigung für mangelnde Fachkenntnisse zu. Wesentlich ist dabei die “Business Judgement Rule”, die Vorstände bei unternehmerischen Entscheidungen schützt, solange diese auf angemessenen Informationen basieren und im besten Interesse der Gesellschaft getroffen wurden.
Ressortverteilung und Solidarhaftung
In Unternehmen mit Ressortverteilung haften primär die für das jeweilige Ressort zuständigen Vorstandsmitglieder. Allerdings besteht eine Überwachungspflicht, die alle Vorstandsmitglieder dazu verpflichtet, bei Anzeichen von Missständen in anderen Ressorts einzugreifen.
Innen- und Außenhaftung
- Innenhaftung: Primär haften Vorstände gegenüber der Gesellschaft.
- Außenhaftung: Diese greift unter besonderen Umständen, etwa bei grober Fahrlässigkeit oder Verletzung von Schutzgesetzen zugunsten Dritter (§ 84 Abs. 5 AktG). Hierzu zählen etwa strafgesetzwidrige Handlungen oder Wettbewerbsverstöße.
Welche Pflichten treffen Aufsichtsräte?
Aufsichtsratsmitglieder sind gemäß § 99 AktG zur Überwachung der Geschäftsführung verpflichtet. Dies umfasst die regelmäßige Anforderung von Berichten und Informationen sowie die Einberufung von Hauptversammlungen bei schwerwiegenden Missständen.
Haftungsfälle bei Aufsichtsräten
Haftung kann eintreten, wenn der Aufsichtsrat:
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- Unterlässt, den Vorstand bei drohender Insolvenz zur Antragstellung aufzufordern.
- Unzureichend überwacht und dadurch eine Insolvenzverschleppung begünstigt.
- Faktische Geschäftsführung übernimmt, ohne den Vorstand einzubeziehen.
Besonders kritisch wird es, wenn Aufsichtsratsmitglieder in Krisensituationen ihre Mandate niederlegen, ohne sicherzustellen, dass adäquater Ersatz bereitsteht. Dies kann zu Schadenersatzansprüchen führen.
Welche praxisrelevanten Urteile prägen das Haftungsrecht?
⚖️ OGH 31.05.1977: Sorgfaltspflichten des Aufsichtsrats
Dieses Urteil betont, dass Aufsichtsräte in bestimmten Branchen, wie dem Bankwesen, über spezialisierte Kenntnisse verfügen müssen. Fehlerhafte Kreditvergaben aufgrund unzureichender Sicherheiten können eine Haftung nach sich ziehen.
⚖️ OGH 15.09.2020: Business Judgement Rule
In diesem Fall wurde die Haftung von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern aufgrund einer unterlassenen Bonitätsprüfung bejaht. Die Gerichte machten klar, dass auch gewagte Geschäftsentscheidungen zulässig sind, solange sie unternehmerischen Standards entsprechen.
⚖️ OGH 20.12.2023: Pflichtverletzungen durch Vorstandsmitglieder
Hier wurde die Entlassung eines Vorstandsmitglieds wegen grober Pflichtverletzung bestätigt. Der Vorstand hatte dem Aufsichtsrat gegenüber wahrheitswidrige Angaben gemacht, was als grob fahrlässiges Verhalten gewertet wurde.
Wie können sich Vorstände und Aufsichtsräte absichern?
D&O-Versicherung als Schutzschild
Directors-and-Officers-Versicherungen (D&O) bieten eine gewisse Absicherung gegen Haftungsansprüche. Allerdings sind deren Reichweite und Deckung oft begrenzt:
- Keine Deckung bei grober Fahrlässigkeit.
- Betragliche Beschränkungen und lange Rechtsstreitigkeiten zur Klärung von Versicherungsansprüchen.
Praktische Tipps
- Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder sollten sich nicht blind auf Versicherungen verlassen.
- Regelmäßige Schulungen und die Einbindung von Experten können helfen, Haftungsrisiken zu minimieren.
Qualifikationen und Fähigkeiten
Mitglieder des Aufsichtsrats müssen über grundlegende wirtschaftliche, rechtliche und organisatorische Kenntnisse verfügen. In hochspezialisierten Branchen, wie dem Bankensektor, sind zusätzliche branchenspezifische Fähigkeiten erforderlich.
Anzeichen einer Unternehmenskrise
Bereits bei den ersten Anzeichen einer Krise ist der Aufsichtsrat zu intensiver Überwachung verpflichtet. Dazu zählt etwa die Prüfung der Wirtschaftlichkeit von Maßnahmen und die Einleitung von Gegenmaßnahmen.
Compliance-Programme
Die Einführung effektiver Compliance-Systeme hilft, Haftungsrisiken frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden.
Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat
Ein reibungsloses Zusammenspiel zwischen Vorstand und Aufsichtsrat ist essenziell. Offene Kommunikation und klare Verantwortlichkeiten stärken die Governance-Strukturen und minimieren das Risiko von Haftungsfällen.
Haftung als ständige Herausforderung
Die rechtlichen Anforderungen an Vorstände und Aufsichtsräte sind komplex und erfordern ein hohes Maß an Fachkenntnis und Sorgfalt. Insbesondere in Krisensituationen zeigt sich, dass sowohl Vorstände als auch Aufsichtsräte sich nicht nur auf rechtliche Absicherungen, sondern auch auf persönliche Expertise und strategisches Handeln verlassen müssen. Unternehmen sollten daher in Schulungen, Compliance-Programme und eine solide Governance investieren, um Haftungsrisiken zu minimieren.