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Einführung
Der Europäische Haftbefehl (EHB) ist ein zentrales Instrument, das die Auslieferung einer gesuchten Person innerhalb der EU erheblich beschleunigt. Während das allgemeine Auslieferungsrecht in Österreich im Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz (ARGH) geregelt ist, finden sich die spezifischen Bestimmungen zum EHB im EU-JZG (EU-Justiz-Zusammenarbeits-Gesetz). Für die Strafverteidigung ist daher das EU-JZG der entscheidende Ausgangspunkt.
Seit der Einführung des EHB im Jahr 2004 wurde die Auslieferung zwischen den EU-Mitgliedstaaten vereinfacht, um sicherzustellen, dass sich Verdächtige nicht der Strafverfolgung durch Flucht in ein anderes Land entziehen können. Dennoch enthält das EU-JZG klare Bestimmungen, wann eine Übergabe aufgeschoben werden kann, insbesondere wenn die betroffene Person gesundheitlich gefährdet ist.
Aufschub der Übergabe einer Person
Die Aufschubgründe finden sich in § 25 EU-JZG. Gemäß § 25 EU-JZG können verschiedene Gründe einen Aufschub der Übergabe einer Person rechtfertigen. Diese sind:
- Transportunfähigkeit der betroffenen Person: Wenn die betroffene Person aus gesundheitlichen Gründen nicht transportfähig ist.
- Gefährdung von Leib oder Leben: Wenn ernsthafte Gründe bestehen, dass die Übergabe eine Gefahr für die Gesundheit oder das Leben der Person darstellt.
- Untersuchungshaft: Die betroffene Person befindet sich in einem laufenden inländischen Strafverfahren und ist in Untersuchungshaft.
- Notwendige Anwesenheit in einem inländischen Strafverfahren: Die Anwesenheit der Person ist für ein inländisches Verfahren unbedingt erforderlich, sei es als Angeklagte oder als Zeuge.
- Finanzbehördliche Untersuchungshaft: Wenn die Person in einer finanzbehördlichen Untersuchungshaft ist.
- Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder vorbeugenden Maßnahme: Die Person muss eine Freiheitsstrafe oder eine mit Freiheitsentziehung verbundene Maßnahme in Österreich verbüßen.
Diese Aufschubsgründe sind in § 25 Abs. 1 EU-JZG abschließend geregelt.
Der praktisch wichtigste Grund: Transportunfähigkeit und Gefährdung für Leib und Leben
Der Schutz der betroffenen Person steht aus praktischer Sicht im Mittelpunkt der Prüfung nach § 25 EU-JZG. Eine Übergabe ist dann nicht zulässig, wenn die Person aus medizinischen Gründen nicht transportfähig ist oder eine ernsthafte Gefährdung von Leib oder Leben besteht.
Die medizinische Beurteilung erfolgt in der Regel durch einen Sachverständigen, der den Gesundheitszustand der betroffenen Person genau untersucht – allerdings bedarf es hierfür substantiierter Vorbringen! Zudem reicht es nicht aus, dass die Person lediglich krank ist; vielmehr muss eine erhebliche Gefahr durch den Transport bestehen. In einigen Fällen wird der Transport durch medizinisches Personal begleitet, doch dies allein reicht nicht immer aus, um eine Gefährdung auszuschließen.
Die Gefährdung für Leib und Leben erinnert stark an die Grundrechtsgarantie in Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskommission. Tatsächlich sollte aber auch Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ins Spiel gebracht werden, der gerade im Kontext von Auslieferungen in den letzten Jahren eine wichtige Rolle in der Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtskonvention gespielt hat. In dieser Norm geht es um das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung. Eine erzwungene Übergabe, die zu ernsthaften gesundheitlichen Schäden führen könnte, würde gegen diesen Artikel verstoßen. Aus diesem Grund kann die Übergabe in Fällen von dauerhafter Transportunfähigkeit oder erheblichen gesundheitlichen Risiken endgültig abgelehnt werden.
Die Praxis zeigt, dass die diesbezüglichen Hürden extrem hoch angesetzt sind. Hohes Alter und Gebrechlichkeit vermögen bereits einer Auslieferung nicht im Wege zu stehen – das zeigt die Erfahrung im Fall der Auslieferung von John Demjanjuc.
(Keine) Relevanz hat der Alibi-Beweis
Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem klassischen Auslieferungsrecht und dem Europäischen Haftbefehl liegt in der Rolle des sogenannten Alibi-Beweises. Während im “normalen” Auslieferungsrecht der Alibi-Beweis – also der Nachweis, dass sich die betroffene Person zur Tatzeit an einem anderen Ort befunden hat – die Auslieferung grundsätzlich verhindern kann, weil dies den Tatvorwurf substantiell entkräftet, ist dies im Rahmen des Europäischen Haftbefehls kein Hindernis für die Übergabe der Person nach § 25 EU-JZG, wenn ein Europäischer Haftbefehl schon erlassen wurde.
Im klassischen Auslieferungsverfahren könnte ein überzeugender Alibi-Beweis den Verdacht der Täterschaft ausräumen und damit die Grundlage für eine Auslieferung entfallen lassen. Beim Europäischen Haftbefehl finden sich im Gesetz zwar entsprechende Bestimmungen in § 19 EU-JZG, welche allerdings in einer Phase relevant sind, in der darüber entschieden wird, ob ein Europäischer Haftbefehl überhaupt erlassen wird. Existiert ein Europäischer Haftbefehl und geht es nur noch um den Vollzug – was in der Praxis der häufigste Fall ist: denn erst beim Vollzug erfährt die betroffene Person, dass ein Europäischer Haftbefehl gegen sie existiert – dann muss sich ihre Verteidigung primär § 25 EU-JZG fokussieren. In dieser Phase spielen substantielle Einwände gegen den Tatvorwurf, wie etwa ein Alibi, keine wesentliche Rolle – das wird für die Phase nach dem Vollzug des europäischen Haftbefehls und nach der Übergabe der betroffenen Person von hoher Relevanz.
Warum das so ist, ergibt sich auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls, der sich grundsätzlich auf gegenseitiges Vertrauen zwischen den Justizbehörden der EU-Mitgliedstaaten gestützt. Es wird davon ausgegangen, dass das ersuchende Land die notwendigen Beweismittel im nachfolgenden Strafverfahren angemessen berücksichtigen wird.
Für die Verteidigung bedeutet dies, dass substantielle Argumente gegen den Tatvorwurf, wie etwa der Alibi-Beweis, zwar in dieser hektischen Phase sehr wohl vorgebracht werden sollten, aber überaus selten in der Phase der Übergabe schlagend werden. Es ist daher entscheidend, sich darauf einzustellen, dass der Europäische Haftbefehl in erster Linie auf die Übergabe der Person abzielt und Einwände gegen die Beweislast erst im nachfolgenden Gerichtsprozess eine Rolle spielen.
Praxistipp: Krankenhausunterlagen
Um die Übergabe zu verhindern, ist es für die Verteidigung angesichts § 25 EU-JZG essenziell, frühzeitig relevante medizinischen Unterlagen vorzubringen. Krankenhausberichte, ärztliche Atteste und Gutachten über den aktuellen Gesundheitszustand der betroffenen Person spielen eine entscheidende Rolle bei der Argumentation gegen eine Übergabe. Diese Unterlagen sollten zielgerichtet darauf sein, um glaubhaft darzulegen, dass eine Gefährdung von Leib oder Leben vorliegt. Es müssen detaillierte medizinische Beweise vorgelegt werden, um eine klare Gefährdung nachzuweisen. Die rechtzeitige Vorlage solcher Dokumente ist der Schlüssel zum Erfolg – ein Erfolg, der aber nur selten gelingt.
AI Credits
Bilder: Midjourney
Textunterstützung: ChatGPT